Sehr geehrter Stadtbürgermeister Marius Stiehl,
sehr geehrte Beigeordnete,
sehr geehrte Frau Bergfeld von der Rhein-Zeitung
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste aus Oberwesel und außerhalb,
noch im Januar des letzten Jahres dachten wir, unser größtes Problem sei das schließende Krankenhaus und wir hätten uns nicht träumen lassen, dass wir ein gutes Jahr später um die Hälfte unserer Wirtschaft bangen und Sorge haben, unsere Mitmenschen durch einen harmlosen Besuch in Lebensgefahr zu bringen. Die ganze Welt wurde durch Corona hart ausgebremst.
Natürlich hat Corona auch Oberwesel erwischt, die dritte Welle bahnt sich gerade ihren Weg. Die Infektionszahlen im Rhein-Hunsrück-Kreis gingen leider nie so weit runter wie in vielen anderen Kreisen. Die Nachrichten mag kaum einer mehr sehen und den Zuständigkeits-Mikado zwischen Bund, Ländern und Kreis ebenso wenig. Und mitten drin ist Oberwesel und versucht, irgendwie durch diese Pandemie zu kommen.
Viele freuen sich jetzt schon auf die Zeit nach Corona. Alle Geburtstage werden nachgefeiert, Hochzeiten werden anständig nachgeholt, Kinder können hoffentlich wieder etwas Normalität erleben, aber auch gemeinsame Trauer findet wieder ihren Platz. Aber: Wird es eine Zeit nach Corona geben? So wie Ebola, HIV und die Grippe nie wirklich verschwunden sind, wird wohl auch Corona bleiben. Corona wird bei uns wohl oder übel bleiben und wir werden uns langfristig darauf einstellen müssen, ob wir wollen oder nicht.
Die Vollbremsung durch Corona zwingt uns, genau hinzuschauen. Was ist eigentlich wichtig? Wie wichtig ist uns Geselligkeit und Kultur? Wie geht ein touristischer Ort damit um, dass Touristen nicht mehr kommen dürfen? Wie können wir unseren Alltag Corona-sicher gestalten, ohne alles einzumotten?
Corona ist schlimm, ohne Frage. Aber Corona ist auch eine kleine Vollbremsung in einer größeren Vollbremsung. Die Klimakrise hat uns drei trockene, heiße Sommer und sinkendes Grundwasser beschert. Die Winzer fahren Wasser in die Weinberge, unser Förster Timo Hans reibt sich die Augen, dass der Borkenkäfer jetzt sogar vier Generationen in einem Jahr schafft und die Erträge aus Holzverkauf werden für viele Jahre nur noch eine Wunschvorstellung sein. Alte Buchen verdursten.
Auch hier müssen wir schnell umdenken. Zum Glück haben wir einen Revierförster, der den Anspruch hat, seinem Nachfolger – hoffentlich erst in vielen Jahren – einmal tatsächlich einen nachhaltig geführten und wertvollen Wald zu übergeben. Wald wird in Jahrzehnten gedacht und nicht in Haushaltsjahren. Sein Waldkonzept ist ein Meilenstein und wird für die Stadt Oberwesel, für unseren Finanzhaushalt aber auch für den Wasserhaushalt der Region ein wichtiger Baustein sein. Wir haben zum Glück sein Konzept Zukunftswald fest und verbindlich mit der Stadt verknüpft.
Krisen überall, aber auch Chancen. Die Buga hat jetzt endlich einen Geschäftsführer und das Buga-Schiff kann langsam Fahrt aufnehmen. Wir haben die einmalige Chance, den Mittelrhein auf Vordermann und wieder neu in die Herzen vieler Menschen zu bringen. Die Buga ist ein Generationen-übergreifendes Projekt, das hoffentlich sehr lange nachhallt und Wirkung zeigt. Gut, dass wir unser Motto für Oberwesel schon definiert haben und es schon jetzt sehr gut passt: Lage: extrem! Eine Buga, die sich damit beschäftigt, wie man mit extremen Lagen umgeht, wird sehr viele interessieren und vor allem neue Zielgruppen erreichen, jenseits der Rosenliebhaber. Die nächsten Schritte werden wir gemeinsam mit den Nachbarorten absprechen, damit wir ein stimmiges Gesamtbild für die Buga liefern können.
Zurück zum Haushalt. Der Stadt geht es ganz solide, würde man so sagen. Vorbei die Zeiten, wo man Wald verkaufen musste, um Löcher zu stopfen. Vielen Dank an Herrn Grings für den verständlichen und lesbaren Haushalt. Das Gewerbe brummt, die Einnahmen sind stabil. Zumindest waren sie das im Jahr 2020. Wir haben diesen Haushalt schon mehrfach vorbesprochen und im Großen und Ganzen im Konsens hier vor uns liegen. Das ist gut für Oberwesel. Der Haushaltsplan sieht ein Defizit vor. Das klingt erstmal nicht gut. Aber: Erstens wissen wir, dass der Haushaltsplan eben nur ein Plan ist und es nachher meistens nicht so kommt wie hier geschrieben. Die Einnahmen sind zurückhaltend gerechnet, die Ausgaben nicht. Und ein Haushalt, der die Möglichkeiten ausschöpft, ist ein gutes Zeichen. Ein Zeichen, dass etwas passieren wird und nicht einfach nur gespart wird. Jetzt ist die Zeit, um zu investieren. Was passieren kann, wenn man nicht zur richtigen Zeit investiert, können wir bei der Beschaffung des Impfstoffes sehen. Der Schaden ist jetzt um ein Vielfaches größer als die vermeintliche Ersparnis. Dieser Haushalt sagt schon in einigen Bereichen: »Oberwesel will.«.
Sich auf diesen Erfolgen auszuruhen, kann allerdings sehr gefährlich sein. Wir brauchen einen Plan für die Zukunft. Einen Plan, den wir am besten alle gemeinsam entwickeln.
Daher haben wir Grüne eine sogenannte Zukunftswerkstatt angeregt. Das ist ein erprobtes Verfahren, wie eine große Gruppe von Menschen sich über sehr weitreichende Ziele verständigen kann. Das klingt alles ziemlich abstrakt, wird aber sehr schnell konkret, wenn man einmal damit anfängt. Darauf freuen wir uns schon sehr und jeder, der will, kann dabei gerne mitmachen. Wir bringen als kleinen Vorgeschmack schon mal diese Fragen mit in die Runde:
- Welche Konzepte haben wir für junge Familien, damit sie im Ortskern wohnen wollen?
- Sind wir eine klimafreundliche Kommune?
- Sind wir eine nachhaltige Kommune?
- Sind wir eine bienenfreundliche Kommune?
- Sind wir eine inklusive Kommune?
- Welche Ideen haben wir, damit Oberwesel die Saison früher beginnen und später beenden kann?
- Welche Ideen haben wir, um Oberwesel mit regenerativen Energien zu versorgen?
- Welche kommunalen Angebote wollen wir den Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern machen?
- Welche Ideen haben wir, um die Aufenthaltsqualität in der Stadt zu erhöhen?
- Welche Ideen haben wir, um nicht nur im Internet auf Oberwesel aufmerksam zu machen?
- Welche Ideen haben wir für eine integrierte Stadtentwicklung?
- Welche Ideen haben wir, um demokratische Teilhabe für Kinder und Jugendliche interessant zu machen?
- Wie können wir Gästen den Aufenthalt am gesamten Mittelrhein vereinfachen, vor allem den Gästen aus dem Ausland?
- Wie kinderfreundlich bleiben wir denen in Erinnerung, die jetzt Kinder oder Jugendlich sind?
Unser wichtigster Rohstoff in Oberwesel ist nicht Holz, nicht Schiefer und leider auch nicht der Wein. Es sind die Menschen hier – genauso bunt wie sie sind. Wenn diese Menschen zusammen etwas wollen, dann kann sie keiner stoppen. Wenn wir wollen, dass die Stadt attraktiv für junge Familien wird, dann bekommen wir das hin. Wenn wir wollen, dass die Buga ein Erfolg wird, dann bekommen wir das hin. Wenn wir wollen, dass aus den 150.000 Übernachtungen im Jahr 200.000 werden, dann bekommen wir das hin. Wenn wir das gemeinsam wollen. Dafür stehen wir hier.
Ganz zu Anfang war die Rede vom Krankenhaus. Mittlerweile ist die Marienhaus GmbH offiziell nicht mehr in Oberwesel tätig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich durch unschöne juristische Prozesse gekämpft und können das unrühmliche Ende der Klinik abschließen. Wir wünschen allen, die durch die Krankenhausschließung ihren Job verloren haben, einen guten und erreichbaren neuen Job mit Perspektiven. Die Zustimmung zur Schließung ohne Stadtratsbeschluss hallt immer noch nach. Ob die Tagesklinik ein Erfolg werden kann, wird die Zeit zeigen. Wir werden wahllos hoffen.
Und wir nehmen aus der ganzen Geschichte mit, dass wir als Stadt eine Verantwortung haben. Eine Verantwortung, hinzusehen, nachzufragen und Transparenz zu schaffen, damit so ein Manöver wie es die Marienhaus mit den Kommunen St. Goar, Oberwesel und der Verbandsgemeinde durchziehen konnte, nie wieder passieren kann. Das sind wir den 1800 Menschen schuldig, die für die Klinik auf der Straße waren.
Wir wünschen allen, die hier gerade zuschauen, ein gesundes neues Jahr 2021. Kommen Sie alle gut durch diese Pandemie und behalten Sie Ihre Zuversicht.
Ihre Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat Oberwesel