Neun Monate liegen zwischen unseren Ambitionen zur Kommunalwahl an zu treten und unserem Einzug in den Stadtrat von Oberwesel. In neun Monaten kann erfahrungsgemäß viel passieren.
Am Ende steht immer ein neuer Anfang – und immer ein bisschen mehr Leben. Nun möchte ich den Einzug in den Stadtrat nicht mit Presswehen vergleichen …oder – halt! – vielleicht doch. Vor genau neun Monaten haben wir uns erstmals mit einigen Interessierten zusammengesetzt mit der damals noch vagen Idee, „unser kleines Städtchen hat Zukunft – wir haben Ideen dazu – also gestalten wir doch mit“.
Wir, das sind u.a. Christian, ein zugezogener Designer mit spontaner Zuneigung zu Rhein, Wein und diesem kleinen Fleckchen Mittelrhein, das er seit drei Jahren bewirbt wo es nur geht; Marcel, ein heimgekehrter Oberweseler (und Christians „Integrationskraft“), dessen Liebe zum Geburtsort und den Menschen hier in immer neuen Ideen Ausdruck findet, denen er auf langen Zugfahrten zum Arbeitsplatz Leben einhaucht; Franziskus, ein eingeborener, junger Einzelhändler, der schon so manche Innovation für seine Stadt umgesetzt hat und dessen auch nicht müde wird. Und schließlich Tanja, eine zugezogene Wahl-Oberweselerin mit sozialem Engagement und einem kleinen Gästehaus, die der Gegend großes zutraut uns fest an sie glaubt.
Das hier nur Vornamen stehen hat einen Grund. Wir haben eine „Grüne Liste“ gegründet, die gab es hier noch nicht (Das war einfach). Wir duzen alles und jeden den wir mögen, sogar Gertrud, eine pensionierte Krankenschwester, die sofort für die Idee brannte und seither jeden Freitagvormittag den Eingang zum Rathaus mit Ihrer Fridays-for-Future-Campagne geschmückt hat. Das ist nur ein kleiner Teil der Gruppe, die mit verschiedensten Themen aber einer Motivation zusammen gekommen ist – Mitgestalten einer lebenswerten Zukunft für eine liebenswerte Stadt. Alle waren sie bereit, im Falle eines positiven Wahlergebnisses, die Bürger zu vertreten und fünf Jahre gewissenhaft ein Ehrenamt zu bekleiden.
Hinter uns liegen nun viele Gespräche, Veranstaltungen, Recherchen, Aktionen und ein paar schlaflose Nächte – kurz: ein Wahlkampf (Neuland für alle Beteiligten). Und wir dürfen uns ein bisschen auf die Schulter klopfen – es hat geklappt. Fast zwanzig Prozent der Wähler glauben an uns, oder haben entweder unseren Mut oder den Fleiß mit Ihrer Stimme honoriert. Das macht es leichter, was vor uns liegt.
Nach dem Wahlkampf heißt vor der Arbeit
Eine neue Fraktion in einem Stadtrat hat es nicht leicht. Denn irgendwo kommen die Stimmen ja her, mit denen die da sitzt. Aber wir wissen, dass die anderen 20 (16 Ratsmitglieder anderer Fraktionen + Stadtspitze, d.h. Bürgermeister und Beigeordnete) aus der gleichen Idee heraus da sitzen. Also ist zu konstatieren: Alle meinen es gut. Das ist ja schon mal was. Und mit diesem Gefühl gehen wir vier in unser neues Amt und erstmal in die konstituierende Sitzung.
Von wohlwollender Unterstützung bis zu unsicherem Abschätzen gegenüber „den Neuen“ ist alles dabei. Wir nehmen frischgebügelt unsere Plätze ein. Der Zuschauer sind so viele in dem kleinen Ratssaal, dass die Stühle nicht ausreichen. Wir verfolgen mit Spannung und Neugier das Prozedere, stehen an den richtigen Stellen auf, setzen uns an den richtigen hin, wählen eine neue Stadtspitze, begrüßen die daraus folgenden jungen Nachrücker der gegenübersitzenden stärksten Fraktion und applaudieren jedem Menschen, der sich respektvoll seinem neuen Amt stellt. Alles harmonisch bis hier hin.
Wir versuchen es sogar mit dem ein oder anderen Antrag. Einer geht (wir möchten einen Ausschuss umbenennen. Die Bundesgartenschau soll Einzug in den Namen des Ausschusses für „Tourismus und Stadtentwicklung“ halten) ein anderer nicht („Integration“ soll lieber nicht mit in den Namen des Ausschusses für „Jugend, Familie und Soziales“. Wir hatten hier auf ein anderes Signal gehofft.) und die erste Feuerprobe an den neuen Rat: Wir stellen eine Kandidatin für den dritten Beigeordneten der Stadt auf: Unsere Anja (das mit den Vornahmen …siehe oben), die wir nur allzu gerne mit uns in der Fraktion gehabt hätten und die wir für sehr qualifiziert halten, ein solch repräsentatives Amt zu bekleiden.
Als Neulinge haben wir gesehen, dass die Frage der Beigeordneten die Fraktionen sehr beschäftigt, mal mehr, mal weniger öffentlich. Ein Prozedere das man immer wieder mit seinem Verständnis von Transparenz abgleichen muss. Unser Verständnis von Demokratie müssen wir nicht abgleichen, denn wir sind nun einmal nur die zweitstärkste Fraktion. Unsere Kandidatin findet keine Mehrheit. So geht Rat.
Wir hatten mit unserer Kandidatin zusammen auf einen paritätisch besetzten Stadtvorstand gehofft, um den vielen aktiven Frauen hier gerecht zu werden. Es wäre eine schöne Geste der Stärke gewesen. Ein Parlament ist die Arena, in der es um die besten Ideen geht. Wir nehmen diese Einladung gerne an und bringen uns und unsere Ideen ein. Wir nehmen die Aufbruchstimmung des neuen Stadtrats gerne mit und nehmen unsere schweren Kommunalbreviere mit zum obligatorischen halben Schoppen nach der Sitzung. Wir trinken auf den neuen Stadtrat, unsere neue Fraktion, auf den Mut unserer Kandidatin Anja Kaspari und auf grüngoldene Jahre.
Fortsetzung folgt